Wenn man Eva und Philipp Milner gemeinsam erlebt, dann spürt man recht schnell die Verbundenheit zwischen den beiden Geschwistern. Jener wahrnehmbare, unzertrennliche Draht zieht sich auch konsequent durch die Musik, die das Duo unter dem Namen Hundreds veröffentlicht. Aktuell ist es ihr Zweitwerk „Aftermath“, welches zahlreiche Begeisterungsstürme auslöste und schon jetzt definitiv ein Anwärter für all die Bestenlisten darstellt, die zum Jahresende hin, die akustische Spreu vom Weizen trennen werden. Vor ein paar Wochen trafen wir uns mit den sympathischen Hamburgern im Büro des Berliner Plattenlabels Sinnbus. Bei Keksen und Kaffee entwickelte sich schnell ein interessantes Gespräch, welches versucht, ein wenig Licht ins Dunkel um die Hundreds zu bringen.

Hundreds lautet der Name eures Duos. Wie seid ihr denn auf diesen gekommen?

Eva: Das ist schon ein bisschen länger her, weil es uns ja auch schon fünf Jahre gibt. Und ja, das war ein Traum von mir. Ich träume immer sehr plastisch. Es war ein Traum, der auf einer großen Wiese stattgefunden hat. Philipp und ich haben ein Spiel gespielt, in irgendeiner Form. Ich hab die Regeln selbst gar nicht verstanden und es hat sich dann herausgestellt, dass wir immer mehr wurden. Aber immer mehr von den gleichen Personen. Es gab dann irgendwann fünfzig Evas und fünfzig Philipps und ich hab überhaupt nicht mehr durchgeblickt. Wusste nicht mehr, wer jetzt wer ist. Das hab ich dann Philipp erzählt und der kam mit dem Bandnamen, am nächsten Tag.

Also passend zu der Zeit, in der ihr eh gerade einen gesucht habt?

Eva: Genau. Das war ein großes Geschenk.

Euch umgibt ein Mysterium. Man weiß recht wenig über eure Geschichte. Was findet ihr interessant oder wichtig daran, diesbezüglich relativ spärlich mit Informationen umzugehen?

Eva: Ich glaube wir sind da beide so gestrickt. Viele Künstler machen das sicher anders und fotografieren ihr Mittagessen, mal blöd gesagt. Also, teilen alles. Was sie beschäftigt, was sie sehen und so weiter. Ich finde, dadurch werden die Informationen sehr inflationär. Für mich ist eine Information eine Information und mich nervt das auch selber, wenn ich bei Künstlern feststelle, dass die so arbeiten. Deswegen war das schon eine relativ bewusste Entscheidung, es so zu machen, wie wir es tun.

Philipp: Man kann sich ja auch viel mehr vorstellen und es ist ja auch schön, sich etwas vorstellen zu können. Sich eigene Gedanken machen zu können, wenn da nicht alles schon ausgefüllt ist.

Und das passt vielleicht auch ganz gut zu euren Songs, die auch viel Raum für Spekulationen und Ideen lassen. Als Geschwister teilt ihr eine gemeinsame Vergangenheit. Inwiefern kann denn eure Musik davon profitieren?

Eva: Man ist ein bewährtes Team, also wenn man sich gut versteht. Es gibt natürlich auch Geschwister, die extrem verschieden sind, aber bei uns ist das nicht so. Wir haben uns immer gut verstanden. Da gab es jetzt nie große Auseinandersetzungen. Dann hat sich das irgendwie so entwickelt. Ich denke, dass Philipp mich durch seine Musikleidenschaft stark beeinflusst hat. Aber eigentlich sind wir erst sehr spät damit losgegangen. Also mit dem Projekt und unter dem Namen. Wir haben schon immer etwas zusammengemacht, aber das war nie mit einem professionellen Hintergrund.

Wie kam es schließlich zur Gründung der Hundreds?

Eva: Ich hab mir sechs Wochen freigenommen von meinem Job damals und bin dann zu Philipp gefahren. Er wollte die ganze Zeit schon etwas machen, nur hab ich es immer nicht gebacken gekriegt. Es hat wohl noch einen Arschtritt gebraucht. Und den hab ich da bekommen. (lacht) Dann ging es nach Erfurt, wo er gelebt hat, und da haben wir den Grundstein gelegt.

Und habt ihr dort auch die ersten Tracks entwickelt?

Eva: Es gab schon einige. „Happy Virus“ ist zum Beispiel uralt. Und das Stück hat es dann tatsächlich auch auf das Album geschafft. Natürlich sind dort aber auch viele neue Songs entstanden.

Philipp, siehst du weitere positive Aspekte daran, mit deiner Schwester gemeinsam zu musizieren?

Philipp: Dadurch, dass wir Geschwister sind, halten wir viel aus. So viele Bands zerbrechen schon auf dem Weg zum ersten Album. Beziehungsweise bei dessen Fertigstellung. Es gibt halt einfach so viel Ego und so viel Streitpotenzial beim Musikmachen. Insofern ist es schon rein praktisch, aus menschlich psychologischen Gründen, ein ganz entscheidendes Plus, dass man verwandt ist.

Habt ihr eine musikalische Anekdote aus eurer Kindheit, die ihr erzählen könnt?

Eva: Da waren wir eher noch getrennt voneinander. Philipp hat sehr viel Klavier geübt und ich habe das vernommen. (lacht) Und ihn bestimmt auch dabei gestört. Eher in diese Richtung. Er hat mich auch ab und zu rausgeschmissen. An solche Dinge erinnere ich mich. Dass wir zusammen musiziert haben, war nicht so. Ich war auch nie die Instrumentalistin.

Philipp: Das kam später.

Wie viele Jahre seid ihr auseinander?

Philipp: Fünf. Es hat sich dann irgendwann später, als ich dann mit Computerprogrammen umgehen konnte, entwickelt. Da kam Eva zu Besuch, ich hab halt immer mal Beuch von der kleinen Schwester bekommen. Dann fragte ich, ob sie was singen mag und dann war es halt tatsächlich so, dass die Reaktionen auf ihre Stimme viel positiver und eindeutiger waren, als wenn ich mit anderen Sängern und Sängerinnen Probeaufnahmen gemacht habe. Vor allem in Richtung Pop.

Eva: Das wusste ich noch gar nicht.

Philipp: Ja, das Lied, um das es geht, das willst du ja nicht mehr aus der Mottenkiste holen.

Eva: Da war ich 18 oder so.

Philipp: Genau, da hab ich dann wirklich sehr schnell an den Reaktionen gesehen, dass das sehr stimmig zu sein scheint. Der Verdacht, den ich bereits hatte, hat sich somit ganz offensichtlich bestätigt.

Ihr seid nun als Musiker schon eine ganze Weile unterwegs. Wenn ihr euch jetzt mit den Werken von Kollegen auseinandersetzt, hat sich da was verändert? Geht ihr jetzt anders an das Hören von Songs heran?

Eva: Ja.

Viele Künstler erzählen sogar, dass sie zuhause kaum Musik hören.

Eva: Ich höre auch viel weniger Musik als davor. Meistens hab ich dann ein Album, mit dem ich mich drei, vier Monate beschäftige. Was das angeht, bin ich etwas lahm. Es ist ja alles sehr schnelllebig heute.

Eventuell ist das einfach eine andere Art mit Musik umzugehen.

Eva: Genau. Ich hab letztes Jahr zum Beispiel total viel Alt-J gehört. Jon Hopkins hat uns aber auch total begeistert. Solche Sachen schieben wir uns dann zu und hören sie uns an, aber das läuft nicht so nebenher.

Philipp: Ich höre tatsächlich viel Radio. Wirklich alle Radiosender durcheinander. Aber mehr so als Zeitvertreib. Dabei schalte ich auch oft um, wenn irgendetwas nicht zu ertragen ist. Das andere wäre gezieltes Musikhören. Dann befasse ich mich mit Künstlerkollegen, was aber schon eher Arbeit ist.

Eva: Ich denke aber, dass das auch dieser großen Umbruchphase im Business, die ja auch noch nicht geendet hat, geschuldet ist. Dass man gar nicht mehr weiß, wo man anfangen und wo man aufhören soll. Jederzeit ist alles verfügbar. Ich bin total gespannt, was da jetzt noch passiert. Was so ein Stück Musik in ein paar Jahren für einen Wert hat. Ob es dann noch immer 99 Cent kostet.

Habt ihr eine Platte, in der ihr euch völlig verlieren könnt?

Philipp: Klar. Michael Jackson und „Bad“, da bin ich damals durch den luftleeren Raum geflogen.

Eva: Bei mir war es ein Album, das er mir gegeben hat. (schaut zu Philipp) Das „Debut“-Album von Björk. Erst dachte ich, was soll das denn? Ekelhaft. Dann war ich aber der Meinung, wenn Philipp das gut findet, dann höre ich das jetzt auch ganz lang. Irgendwann hab ich es geschnallt. Allerdings konnte ich keine meiner Freundinnen in dem Alter dafür begeistern. Ab dem Zeitpunkt hatte ich einen anderen Musikgeschmack. Alle anderen hörten Take That und ich hatte noch eine kurze Roxette-Phase, aber das war es dann auch. Trip-Hop war generell sehr entscheidend für mich.

Philipp: Ich hab eigentlich ab meinem dreizehnten Lebensjahr Phillip Boa gehört. Ich war großer Fan, bis ich 17 oder 18 war. Ein deutscher Künstler. Jetzt kann ich mir das nicht mehr anhören. Das ist wirklich Independentmusik. “Container Love” (fängt an zu singen), das ist so der bekannteste Song.

Eva: Man spricht auch von dem Phillip Boa Englisch. Er hat ein sehr spezielles Englisch. (lacht)

Philipp: Das ist so spezielle Musik, da wusste ich, das teile ich mit niemandem. Es gehört mir. (lacht)

Wenn ihr einen Farbtopf hättet und ihr solltet damit ein Bild malen, dass euren Sound repräsentiert, zu welchen Farben würdet ihr greifen?

Eva: Blau.

Philipp: Blau.

Beide: Blau.

Eva: Und Dunkelgrün.

Philipp: Das ist schon ein dunkler Farbtopf. Man könnte ja mal die Songs durchgehen. (lacht) Ein Song wie „Circus“, der ist auf jeden Fall eher orange.

Eva: Ja. „Aftermath“ ist golden und grün. Sehr viel Grün.

Philipp: Ja, ja.

Habt ihr teilweise wirklich Farben im Kopf, wenn ihr die Songs hört?

Eva: Ja. Mir fällt das jetzt gerade auf. Ich kann zu jedem Stück eine Farbe nennen.

Philipp: Geht mir auch so.

Die nächste Frage dreht sich etwas um die Klangästhetik eures Debüts. Ihr vereint darauf recht unterschiedliche Stile miteinander. Zu artifiziellen Strukturen gesellen sich organische Elemente. Was bedeutet diese Mischung für euch?

Philipp: Diese Mischung, mhm. Die Mischung aus Digitalem und Organischem. Wenn man Samples bearbeitet, dann stolpert man irgendwann über sie. Man fängt an, damit zu spielen und plötzlich ist ein Lied fertig. Den ersten Song, den wir beim Debüt fertigstellten, das war „Grab The Sunset“. Überall sind diese harten Schnitte und da konnten wir wirklich sagen, in der Art haben wir vorher noch nichts gehört, es gefällt uns und damit können wir jetzt ein Album aufnehmen.

Entschleunigung ist gerade ein großes Thema, das ein starkes Medienecho erfährt.

Eva: Oh ja, damit habe ich mich auch sehr viel beschäftigt.

Könnt ihr euch mit diesem Begriff identifizieren? Wollt auch ihr einen Gegenpol zu all der Hektik da draußen bilden?

Eva: Auf jeden Fall. Ich kann das sofort unterschreiben, in dem Sinne, dass ich jetzt nicht aussteigen möchte, aber ich sehe tatsächlich ein Problem in der Gegenwärtigkeit von Bildschirmen, die wir uns, in jeder Form, ständig vor die Nase halten. Natürlich bin ich da genauso involviert, nur merke ich, dass mich das zerfasert. Wir sind eine Generation, die den Umbruch mitbekommt.

Philipp: Und wir kennen es eben auch noch anders. Zum Beispiel waren im Zug heute ein paar Kinder, die waren alle ruhig gestellt mit irgendwelchen Techniksachen.

Eva: Es ist ja nicht nur das, auch die Wirtschaft treibt alles im Sekundentakt an. Alle Leute rennen und du hast das Gefühl, du musst funktionieren, funktionieren, funktionieren. Für mich liegt es auf der Hand, dass alles viel zu schnell geworden ist. Man kann sich selbst nur noch als Rädchen wahrnehmen.

Ihr selbst habt euch für die Produktion eures neuen Albums „Aftermath“ ein Studio auf dem Lande eingerichtet. Entstammt jene Entscheidung eventuell auch dem Impuls, der Schnelllebigkeit entfliehen zu wollen?

Eva: Das war auch ein Grund, ja. Zum anderen ist es in Hamburg aber auch sehr schwierig, umzuziehen. Das ist quasi unmöglich. Es war extrem laut überall und auch unser Studio war in einer sehr ungünstigen Situation. Allerdings wollten wir loslegen und Philipp hatte schon lange den Plan, aufs Land zu ziehen. Er hat das dann gemacht und wir setzten dies ebenfalls als Startpunkt für das Album. Das Studio wurde mit eingebaut. Ich hab allerdings keinen Finger gerührt.

Philipp: Stimmt. (lächelt)

Eva: Ich hatte irgendwas ganz Großes zu tun in Hamburg. (lacht)

Philipp: Hast du ein schlechtes Gewissen?

Eva: Ein bisschen, ja.

Inwiefern hören wir diese räumliche Veränderung denn jetzt auf „Aftermath“?

Philipp: Wir stecken vermutlich zu sehr drin, um das zu bewerten. Das kann ich vielleicht in einem Jahr beantworten. Die Entscheidung, aufs Land zu ziehen, war mehr aus der Not geboren, weil man es einfach nicht mehr ausgehalten hat. Ich kann mir auch vorstellen, dass das Album genauso hätten klingen können, wenn wir in der Stadt geblieben wären.

Eva: In so einem Hamburger Bunker ohne Fenster.(lacht)

Philipp: Kann sein, kann aber auch nicht sein.

Eva: Klar, aber ich hab gerade den Blick aus dem Studio vor Augen. Ein Tümpel und ein weites Feld. Sonst nichts.

Ist das Plattencover auch dort entstanden?

Eva: Nein, das ist von einem kanadischen Künstler, aber es entspricht der Stimmung dort.

Kommen wir nun also zu eben der Scheibe, um die sich momentan vermutlich alles für euch dreht. Eröffnet wird sie vom titelgebenden „Aftermath“, einer sehr ausladenden Nummer. Eine Hymne mit Trommeln und Bläserchören. Woher kommt dieser neue Hang zum Epischen?

Eva: Da hatten wir Bock drauf.

Philipp: Der Song hat einfach dahin geführt. Es ging los und dann war klar, es muss größer werden. Was bleibt dir anderes übrig, als dann die Posaune zu holen? (lacht) Der Song war schon wirklich alt.

Eva: Den haben wir im Juli 2012 haben wir den geschrieben.

Philipp: Das ist mit einer der letzten Songs, die fertig wurden. „Stones“ war der allerletzte, „Aftermath“ kurz davor und wir hatten zahlreiche Versionen des Tracks. Es hat sich wirklich angefühlt wie ein Glücksfall, dass er am Ende diese Form angenommen hat. Das Thema, dass das die ganze Zeit durchläuft, ich fragte mich, ob man das wirklich machen kann. Darf man das? Nervt das nicht? Dann haben wir es ausprobiert, diese ganz naheliegende Melodie, weder ausgefuchst noch unrund. Das hätte auch von Scooter sein können.

Eva: Nee.

Philipp: Doch, doch. Ich spiele dir das mal auf einem fetten Synthie vor.

Eva: Okay. (lacht)

Genau dieser Wiedererkennungswert als Basis ist unglaublich gut gelungen.

Eva: Es ist auch berechtigt der Titelsong geworden.

Philipp: Das Lustige ist aber auch, dass schon lange feststand, dass das Album „Aftermath“ heißen wird.

Eva: Wir wussten, dass der Song groß wird.

Philipp: Ich war mir da nicht ganz so sicher. Freut mich aber, dass es dir so ging. (lacht) Ich hatte erst wirklich meine Bedenken. Allerdings klang das Wort wunderschön.

Eva: Zu dem Wort habe ich noch eine Geschichte. Ich hatte es zum ersten Mal bei der Band Kashmir gehört und hab damals nachgeguckt, was es heißt. Anschließend was es bei mir lange auf dem Schirm und dann kam Touchy Mob, der uns oft supportet und der den Begriff auch in einem seiner Lieder verwendete. Ich schreib den Text und Aftermath passte gut rein.

Was heißt das Wort genau?

Eva: So etwas wie Nachhall, Nachwehen. Das ist die eine Bedeutung und die andere, altenglische, steht für frisch gemähten Rasen. Also der Schnitt, der übrig bleibt. Ja, es hat wunderbar zu unserer Geschichte gepasst. Zu dem Song, aber auch zu dem, was bei uns passiert war.

Der im Dezember veröffentlichte Albumteaser, das Prelude zum Track „Beehive“, fasziniert durch eine düstere Anziehungskraft. Tag oder Nacht, wo seid ihr zuhause? Vielleicht ja auch im Zwielicht?

Eva: Zwielicht.

Philipp: Nacht. Ich fühl mich auf der Bühne immer am wohlsten, wenn es dunkel ist. Von mir aus kann es stellenweise auch mal hell werden, aber sonst sehe ich uns eher in der Nacht.

Eva: Ich wollte das jetzt nicht auf die Livesituation beziehen, denn ich finde die Dämmerung einen sehr interessanten Zustand. Aber, da gebe ich Philipp recht, eher ins Dunkle gehend, als ins Morgengrauen.


AFTERMATH

Veröffentlichungsdatum: 14.02.2014
Label: Sinnbus

Tracklist:

  1. Aftermath
  2. Circus
  3. Ten Headed Beast
  4. Separate The Sea
  5. Our Past
  6. Foam Born
  7. Interplanetary
  8. Rabbits On The Roof
  9. Down My Spine
  10. Beehive
  11. Please Rewind
  12. Stones

Über den Autor

Dr Zee leitet eine Anstalt für Musiksüchtige, in der er seine Patienten gern mit feinsten Klängen aus Trip Hop, Indie, New Wave und Dream Pop heilt.Darüber hinaus bietet er bei STADTKIND Gesprächstherapien für jene Künstler an, die schon immer mal etwas loswerden wollten.